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Beispiele

Illgraben

Wer mit Zug oder Auto durch das Oberwallis hinunterfährt, sieht kurz vor Agarn und Leuk links den grossen Illgraben. Wenige fragen sich, woher dieser Graben eigentlich seinen Namen hat. Des Rätsels Lösung liegt etwas höher – wo der Illgraben anfängt, liegt auch die Illalp mit dem Illsee (heute ein Stausee) unter dem Illhorn. 1338 spricht ein Dokument von torrentis de illy ‚der Bach von Illy‘ (ein Genitiv, aber das ist konstruktionsbedingt) und 1346 ist in einem Dokument von lo crous de ylly ‚die Höhlung des Ylly‘, also dem Illgraben die Rede. Illy ist deswegen ein ursprünglich romanischer Name. Und der wiederum stammt aus dem lat. insula ‚Insel‘. In den lateinischen Dokumenten ab dem 14. Jahrhundert steht das lat. insula für das dt. Eya, hdt. Aue – ein wasserreiches Gebiet, meist im Tal des Rottens, aber nicht nur dort. 1634 noch übersetzt ein Notar in Naters das Wort insula mit die Eÿen. Aus dem lat. insula entsteht das frz. île ‚Insel‘. BOSSARD / CHAVAN (2006, 105) haben die Flurnamen der Romandie zusammengestellt und notieren unter Ile und Ila, dass es sich um ein Gebiet handle, das von Wasser umgeben gewesen sei. Sie führen es auf lat. insula ‚Insel‘ zurück. Damit löst sich das Rätsel: der Illgraben heisst so, weil er von der Ill-Alpe herunterführt, und die Ill-Alpe heisst so, weil sie wasserreich war, eben eine Eye, walliserdeutsch gesprochen. Und was sonst undeutbar war, entpuppt sich als ganz gewöhnlicher Name der damaligen Bevölkerung, deren Sprechweise heute als franko-provenzalisch bezeichnet wird, eine Reihe von Dialekten, die im grössten Teil der heutigen französischen Schweiz gesprochen wurden. Das stimmt überein mit der Einsicht, dass die älteren Flurnamen der Gegend um Leuk und Agarn frankoprovenzalisch lauteten und dass die Menschen in diesen Gebieten noch bis ins 15. und 16. Jahrhundert hinein mindestens Frankoprovenzalisch und Walliserdeutsch sprachen, also zweisprachig waren.